Dienstag, 21. Juni 2011

Einschnitte

Letzte Nacht hatte ich einen Traum. Jetzt im Tagesbewusstsein holen mich die Bilder wieder ein und drängen mich in eine Position, die ich nicht will. Und doch: sollte ich mich um jeden Preis damit auseinandersetzen? Sollte ich einen Weg suchen die Vergangenheit zu Grabe zu tragen? Zeit wird's eigentlich. Wenn ich jedoch jetzt einen Finger ausrecke und ihn auf eine nicht verheilte Wunde lege, könnten Dinge geschehen die sich meiner Kontrolle entziehen. Wie kann ich vorhersagen welches der richtige Weg ist? Natürlich ist das Humbug, denn wenn es mir gelänge, würde ich öffentlich auftreten können, um die Zukunft vorher zu sagen und dann wären meinen einzigen Probleme wahrscheinlich die, mich mit meinem neuen Vermögen zu arrangieren. Im Glück liegt das Unglück so deutlich hervor gehoben das man es nicht leugnen kann. So sehr man sich auch anstrengt, sosehr man sich darauf konzentriert was man bisher erreicht hat. Der Dorn des Zweifels will nicht weichen.


Langsam stand er auf und ließ den Computer im Dämmerlicht zurück. Er ging langsam in die Küche um sich einen Tee einzugießen. An der Küchenzeile lehnend dachte er über das eben niedergeschriebene nach. Vielleicht sollte er Tagebuch führen. Vielleicht sollte er seine Geschichten mit mehr Licht auskleiden. Wer mag schon die dunklen Verstecke anderer lesen?

Den Tee in der Hand ging er zurück ins Wohnzimmer. Als er am Schlafzimmer vorbeikam sah er Ihre Silhouette unter der Decke. Erahnte ihren Körper und ließ den Schmerz dieses Bildes in sich. Süß war er und machte ihm klar wie Sekunden sich weiter in sein Gesicht schrieben. Sich weiter ihren Platz bahnten um ihn daran zu erinnern wie wertvoll das Empfinden des Lebens war. Zu schreiben war die Antwort. Es nicht zu tun waren die Fragen, die sich höhnisch vor ihm aufbauten. Wenn es jemand lesen würde, würde der nach den Antworten fragen? Nein. Er würde sein eigenes Bild in die Zeilen legen. Sein Leben würden die Zeilen neu ordnen und ihnen dann einen neuen Sinn einhauchen. Wozu also schreiben? Nur der Fragen wegen?

Er setzte sich wieder vor die Tastatur. Die Tasten unter seinen Fingerkuppen fühlten sich merkwürdig kalt an. Es waren keine Verliebten die nach Berührung hungerten. Eher kam er sich wie ein Abhängiger vor. Er war süchtig seinen Gedanken ein Gewand anzulegen. Greifbar. Es war in dieser Nacht wieder genauso wie in den Nächten davor. Leere. Er starrte seine Finger an. Wollte sie in Gedanken dazu zwingen, doch endlich zu beginnen. Endlich die Führung zu übernehmen. Erst dann könnte er sich frei fühlen und ins Bett gehen, um die Nacht zu umarmen.

Nichts.
Er holte tief Luft, lehnte sich zurück und zündete sich eine Zigarette an. Langsam stieg der Qualm die Zimmerdecke entgegen. Der Versuch der aufsteigenden Panik einfach nachzugeben war ihm zu billig. Vorhersehbar. Natürlich saß ihm der Verlag im Nacken. Die letzten Verkaufszahlen waren auch wirklich sehenswert gewesen. Sämtliche Kritiker hatten ihn hoch gelobt. Danach diverse Talkshows. Am liebsten hätte er jedoch genau diese Auftritte vermieden, denn einen Moderator intellektuell besser aussehen zu lassen und das auf seine Kosten, war ihm einfach zuwider.

Wie einfach war es vorher gewesen. Er schrieb für sich und auch aus sich hinaus.

In einer schwachen Minute hatte er sein erstes Manuskript in einen gefütterten Umschlag gesteckt und weggeschickt. Die Chancen waren vernichtend gering und doch wollte er die Sache in seinen Augen "rund" machen. Zwei Wochen später steckte dann nicht der erwartete Serienbrief in seinem Briefkasten sondern eine sehr wohlwollende Zusage. Er hatte den Brief, ohne ihn richtig wahrzunehmen auf die Fensterbank gelegt und ihn nach drei Tagen schließlich vergessen. Der Verlag aber ließ nicht locker und schrieb ihm einen zweiten Brief. Voll mit Statistiken, Markterwartungen und Autorenbeteiligung in Aussicht gestellt. Schließlich stimmte er zu.

Kaum ein halbes Jahr später lag sein erstes Buch dann vor ihm. Der Einband gefiel ihm überhaupt nicht. Die Illustration war in schreienden Farben gehalten. Gefehlt hatte nur noch ein grellroter Aufkleber mit der Aufschrift "Kauf mich!". Egal, es war sowieso nicht rückgängig zu machen.

Aber da fing es an. Langsam kündigte es sich an. Er musste während des Schreibens öfters Pausen machen. Für ihn eine ungewohnte Situation. In der Zeit vor dem grellroten Aufkleber, hatte er eine oder sogar mehrere Seiten ohne Unterbrechung geschrieben. Irgendwann fing er an nach einem Satz auszusetzen. Überprüfte ihn wieder und wieder, fand jedoch nicht mehr den kleinsten Hauch eines Wiedererkennens. Er stelle Worte um, suchte neue, verwarf sie wieder um dann entnervt den PC auszuschalten. Einige Zeit lenkte er sich damit ab auf seine Veröffentlichung zu reagieren. Wildfremde Leute schrieben ihm und formulierten ihre Briefe so, als hätte man zusammen im Sandkasten gespielt. Vielleicht fielen gerade deswegen seine Antworten umso reservierter aus. Er las die Rezensionen in den wichtigen Tageszeitungen und wunderte sich darüber wie er in Schablonen gepresst wurde. Wieso kam nur keiner auf die Idee, dass er diese Geschichten einfach nur runter geschrieben hatte. Aus einer Laune heraus. Im Gegensatz zu vielen Vermutungen hatte er eine glückliche Kindheit gehabt, ebenso wie mehrere Freundinnen und es war auch nie sein Hobby gewesen andere Menschen zu durchleuchten um dann später versteckt über diese zu schreiben.

Er hatte einfach geschrieben. Und jetzt war es so kompliziert geworden. Jetzt mit so vielen fremden Gedanken und Erwartungen um ihn herum. Seine persönliche Geschichte war neu geschrieben worden. Und in dieser hatte seine Lebensgrundlage keinen Platz mehr.
Er würde sich ein Tagebuch kaufen müssen.
Bald.

Sonntag, 19. Juni 2011

Donnerstag, 16. Juni 2011